Kleinwagen – ein Fahrzeugsegment verschwindet
Ford stellt den Fiesta ein. Diese Nachricht ging Ende 2022 durch die Presse, und tatsächlich ist Anfang Juli der letzte Fiesta in den Kölner Ford-Werken vom Band gelaufen. Allerdings endet damit nicht einfach nur eine über acht Fahrzeuggenerationen dauernde Erfolgsgeschichte. Tatsächlich zeigt sich an diesem Beispiel ein größeres Dilemma, das Autokäufer:innen teuer zu stehen kommen wird: das Ende des Kleinwagens.
Preisgünstig und vielseitig, aber ohne Zukunft?
Klein- und Kleinstwagen bieten einen günstigen Einstieg in die individuelle Mobilität und haben seit Jahren einen festen Platz in den Zulassungsstatistiken und auch in den Köpfen der Autofahrer:innen. Opel Corsa, VW Polo und Renault Twingo sind Modelle, die vermutlich jeder schon mal auf dem Fahrer- oder Beifahrersitz erlebt hat. Und trotzdem verschwinden diese und andere Modelle nach und nach von den Top-Plätzen der Neuzulassungen. Was ist passiert?
Entwicklung der Marktanteile
Betrachtet man die Kleinst- und Kleinwagen zusammen, zeigt sich, dass sowohl die Neuzulassungen als auch der Marktanteil in den letzten Jahren stark rückläufig sind. Natürlich hat die Corona-Delle ab 2020 bei den absoluten Zahlen einen zusätzlichen Effekt. Bis 2019 schwanken die Zulassungen rund um 700.000 Einheiten pro Jahr, der Marktanteil nimmt aber konstant ab. Hintergrund ist ein relativ konstantes Wachstum des Gesamtmarktes, das jedoch in anderen Segmenten stattfindet.
Im Jahr 2010 waren mit 26% noch etwa jedes vierte Fahrzeug ein Kleinst- oder Kleinwagen, 2022 waren es nur noch 18% beziehungsweise nicht mal mehr jedes fünfte Auto. In der gleichen Zeit sind die Zulassungen für diese Fahrzeugkategorie um fast 280.000 Stück gesunken, was einem Rückgang von 37% entspricht. Zur Einordnung: Der Gesamtmarkt ist parallel zwar auch zurückgegangen, allerdings nur um etwa 265.000 Einheiten (entspricht -9%).
Die kurze Phase der Erholung der Marktanteile zwischen 2020 und 2021 ist im Übrigen auf den Boom bei Elektroautos zurückzuführen. In dieser Zeit haben sich die Zulassungszahlen von batterieelektrischen Fahrzeugen, besonders in den unteren Segmenten, stark positiv entwickelt.
Die Gründe für den Abstieg
Schaut man sich die Entwicklung der Marktanteile an, liegt die Sache ja augenscheinlich auf der Hand. Kleinst- und Kleinwagen werden immer unbeliebter, die Nachfrage geht zurück. Ganz so einfach ist es jedoch nicht, und hier lohnt es sich, die beiden Segmente Kleinstwagen (werden beim Kraftfahrtbundesamt „Minis“ genannt) und Kleinwagen getrennt voneinander zu betrachten.
Zunächst fällt auf, dass die Minis deutlich robuster sind und ihren Marktanteil über die Zeit nahezu konstant halten. Die Kleinwagen hingegen verlieren deutlich von 19% im Jahr 2010 auf nur noch 12% per Ende 2022. Das ist auf zwei Umstände zurückzuführen:
- Kleinstwagen sind als günstigste Variante für die individuelle Mobilität mittels PKW praktisch alternativlos. Dementsprechend stabil sind Nachfrage und Marktanteil.
- Bei den Kleinwagen geht es nicht ausschließlich um die reinen Grundbedürfnisse der Mobilität, und daher verliert dieses Segment zugunsten der kleinen SUVs, die in den letzten Jahren offenbar mehr Menschen ansprechen konnten und deren Angebot sich auch deutlich ausgeweitet hat.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Zahl der angebotenen Fahrzeuge in den beiden Segmenten stark rückläufig ist. Interessenten müssen also aus einem immer kleiner werdenden Angebot wählen. Aber wieso ziehen sich immer mehr Hersteller aus diesem Bereich des Marktes zurück?
Die Rolle der Regulierung
Das Gewinnstreben von Unternehmen ist eine allgemein bekannte und in unserer Gesellschaft im bestimmten Rahmen auch notwendige Tatsache, um überhaupt ein Angebot von unterschiedlichen Waren und Dienstleistungen zu generieren. Im Umkehrschluss heißt das, dass wenn Produkte nicht mehr gewinnbringend angeboten werden können, sie früher oder später vom Markt verschwinden.
Der Preis eines Autos ist im Wesentlichen durch die Kosten seiner Produktion bestimmt, die wiederum stark von Regulierung bestimmt wird. Welche Motorentechnologie darf genutzt werden, welche Art der Abgasreinigung ist notwendig, und welche Sicherheitssysteme müssen an Bord sein für den Fall der Fälle? All das sind wichtige Elemente der Sicherheit und des Umweltschutzes. Andererseits können sich dadurch die Produktionskosten gerade bei Klein- und Kleinstwagen spürbar erhöhen. Diese Kosten wollen Unternehmen in Form von höheren Preisen an ihre Kundinnen und Kunden weitergeben.
Umfangreichere Vorgaben für den Verkauf von Fahrzeugen in Deutschland, Europa und auch weltweit sind ein wesentlicher Grund für die Preissteigerungen von PKW in den letzten Jahren. Gerade im Bereich der kleineren und günstigeren Fahrzeuge ist die Preissensibilität aber besonders hoch, und Herstellern fällt es besonders schwer, hier erfolgreich Kostensteigerungen weiterzugeben. Im Ergebnis sinken die Margen, und in letzter Konsequenz entscheidet sich der ein oder andere Hersteller, sein Angebot einzuschränken oder eben ganz einzustellen.
Die Anzahl der in den beiden Segmenten angebotenen Fahrzeuge hat sich seit 2010 von 58 auf 38 reduziert. Ganze 20 Modelle sind also verschwunden, was einem Rückgang von fast 35% entspricht.
Abgasnormen und CO2-Flottengrenzwerte
Vorweg sei gesagt, dass Luftverschmutzung und die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken ein relevantes Thema sind, dessen Bekämpfung zweifelsfrei im Interesse aller ist. Die durch die Politik dazu gewählten Ansätze gehen jedoch nicht ohne Spuren an den Fahrzeugherstellern und damit auch Autokäuferinnen und Käufern vorbei. Neben saubererer Luft bringen diese Maßnahmen auch höhere Fahrzeugpreise mit sich. Das Gleiche gilt für Technologie zur Reduktion des CO2-Ausstoßes.
Abgasnormen sind ein wesentlicher Treiber für die Entwicklung von Motorentechnologie. Dabei geht es in erster Linie um die vom Fahrzeug ausgestoßenen Abgase, konkret deren Zusammensetzung, Partikelmenge und Partikelmasse. Natürlich geht es damit auch indirekt um Effizienz, dafür ist jedoch das zweite große Element der Regulierung, die CO2-Flottengrenzwerte, deutlich besser geeignet.
Technische Innovationen wie der Diesel- oder Ottopartikelfilter, sowie die Abgasnachbehandlung mit Harnstoff (AdBlue), sind bereits seit längerem etabliert und bekannt. Die damit verbundenen technischen Lösungen sind mit Mehrkosten verbunden, die sich auch im Fahrzeugpreis niederschlagen. Dabei müssen auch die Entwicklungskosten berücksichtigt werden.
Verbrennungsmotoren belasten durch ihre Abgase nicht nur die Luftqualität, sondern tragen mit den ausgestoßenen Mengen CO2 auch zur Erderwärmung bei. Folgerichtig gibt es auch für den CO2-Ausstoß Vorgaben, die wiederum konkrete Folgen für die Fahrzeugtechnologie und -preise haben. Konkret erhalten alle Hersteller einen individuellen Grenzwert, der sich am durchschnittlichen Gewicht der verkauften Fahrzeuge orientiert. Je schwerer die Fahrzeuge, desto höher der Grenzwert. Das Ziel über alle Hersteller und Fahrzeuge liegt bei 95g CO2 pro Kilometer. Der mit Abstand größte Teil der Automobilhersteller löst diese Herausforderung durch die Elektrifizierung seiner Fahrzeugmodelle. Dabei muss grundsätzlich zwischen vier Varianten unterschieden werden:
- Mildhybrid: kann nicht rein elektrisch fahren und muss nicht extern geladen werden – eine kleine 48V-Batterie unterstützt den Verbrennungsmotor.
- Vollhybrid (kurz HEV, Hybrid Electric Vehicle): kann wenige Kilometer rein elektrisch fahren und muss nicht extern geladen werden; Batteriegrößen sind unterschiedlich aber in etwa 1,5 kWh groß.
- Plug-in-Hybrid (PHEV, Plug-in-Hybrid Electric Vehicle): kann je nach Modell längere Strecken elektrisch fahren und kann extern geladen werden; Batteriegrößen sind unterschiedlich im Bereich von 15 bis 25 kWh.
- Vollelektrisch (BEV, Battery Electric Vehicle): wird rein elektrisch angetrieben und muss extern aufgeladen werden; Batteriegrößen sind unterschiedlich im Bereich von 30 bis 100 kWh.
Mit jeder weiteren Stufe der Elektrifizierung steigen die Kosten, die wiederum am stärksten von der Batteriegröße abhängen. Gleichzeitig steigt mit der Batteriegröße in der Regel auch die elektrische Reichweite, und damit sinkt der CO2-Ausstoß (gilt natürlich nicht vollelektrische Fahrzeuge).
Weniger CO2-Ausstoß bedeutet auch weniger Kraftstoffverbrauch. Dementsprechend entstehen durch die Flottengrenzwerte Anreize zur grundsätzlichen Steigerung der Effizienz von Verbrennungsmotoren.
Im Sinne der CO2-Grenzwerte sind Klein- und Kleinstwagen für Automobilhersteller ein problematisches Geschäftsfeld. Teure Technologie zur Reduktion der Kohlendioxidemissionen ist nur schwer ohne Margenverlust zu verkaufen. Die zunehmenden Preissteigerungen lassen das Verkaufsvolumen schrumpfen. Eine Art Teufelskreis entsteht, der das Anbieten dieser Fahrzeuge immer unattraktiver werden lässt.
Sicherheits- und Fahrassistenzsysteme
Ein weiterer negativer Effekt des Autofahrens sind Unfälle, besonders wenn es zu Personenschäden kommt. Daher ist es wenig überraschend, dass auch in diesen Aspekt regulierend eingegriffen wird. Sicherheitsgurt oder Antiblockiersystem (ABS) sind seit vielen Jahrzehnten fester Bestandteil jedes Neuwagens und bekannte Beispiele für regulatorische Eingriffe in die Sicherheitssysteme von Kraftfahrzeugen.
Die Vorgaben werden laufend angepasst und folgen dem Stand der Technik und der Unfallforschung. In den letzten Jahren wurden zum Beispiel das Reifendruckkontrollsystem, die Notruffunktionen (E-Call) und der Notbremsassistent zu verpflichtenden Ausstattungselementen. Neu in den Verkehr gebrachte PKW müssen diese Sicherheitsausstattung serienmäßig an Bord haben, um in der Europäischen Union zugelassen werden zu können.
Derartige Technologie ist effektiv in der Vermeidung von Unfällen und der Abmilderung von Unfallfolgen, erhöht aber ebenfalls die Produktionskosten.
Und wie geht es weiter?
Das Ende der Kleinst- und Kleinwagen ist bis auf Weiteres noch in weiter Ferne. Verschwinden werden aber die bis heute noch verfügbaren günstigen Einstiegsangebote mit nicht elektrifiziertem Verbrennungsmotor. Der Grund liegt dabei nicht in vermeintlich teurer Sicherheitstechnik, deren Anforderungen im Übrigen Mitte 2024 noch einmal verschärft werden (Stichwort GSR2: General Safety Regulation 2), sondern in der notwendigen Dekarbonisierung der individuellen Mobilität. Die Reduktion des CO2-Ausstoßes durch Produktion und Betrieb von Kraftfahrzeugen ist eine große, aber notwendige Herausforderung.
Als Hersteller ist die Rechnung letztlich simpel: Verkaufe ich einen PHEV-Mittelklassewagen oder ein BEV-Kompakt-SUV mit einer Marge von mehreren Tausend Euro und einer niedrigen Belastung meiner CO2-Bilanz oder verkaufe ich einen Kleinwagen mit über 100g CO2-Emission pro Kilometer für einen Bruchteil der Marge? Die Antwort auf diese Frage ist eindeutig und bedeutet nichts Gutes für günstige Kleinwagen.