Der VW Golf und die Kompaktklasse – Echtes Comeback oder Kurzzeit-Rückkehr?
In Folge eines starken Zulassungswachstums in der Kompaktklasse und besonders beim VW Golf sprach die Welt vor Kurzem von einem „überraschenden Comeback der Golf-Klasse“. Aber ist es nun ein echtes Comeback, vielleicht sogar eine Trendwende oder nur eine Art letztes Aufbäumen der einst so relevanten Kompaktklasse?
Dazu betrachten wir die Situation des VW Golf, immerhin Namensgeber eines gesamten Fahrzeugsegments und immer noch meistverkaufter Pkw in Deutschland, etwas genauer. Wir schauen zurück bis in das Jahr 2015, um auch ein Gefühl für den Markt in der Prä-Corona-Zeit zu bekommen und eine gute Ausgangsbasis zu haben. Zudem wird die Entwicklung des Golf im Verhältnis zu seinem Segment und zur gesamtem Marke VW betrachtet. Das sollte helfen, um die zugrundeliegenden Effekt besser einzuordnen.
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Neuzulassungsentwicklung des VW Golf
Damit der Vergleich mit den Vorjahreswerten sinnvoll ist, werden zudem immer die durchschnittlichen monatlichen Neuzulassungen betrachtet. Auf die Weise kann das abgelaufene erste Halbjahr mit den Vorjahren 2015 bis 2023 verglichen werden.
Der erste Blick auf die durchschnittlichen monatlichen Neuzulassungen (Diagramm 1) zeigt einen stark negativen Trend, der sich durch zwei starke aufeinanderfolgende Rückgänge in den von Corona geprägten Jahren 2020 und 2021 zeigt. Allerdings sind die Zulassungszahlen bereits seit 2015 rückläufig. In dieser Darstellung stellt sich das erste Halbjahr 2024 tatsächlich als deutliche Trendumkehr dar. Zudem wird die hohe Anzahl an gewerblichen Zulassungen deutlich, auf die auch ein Großteil des Wachstums im ersten Halbjahr 2024 zurückgeht.
Der starke Push in den ersten sechs Monaten scheint überwiegend aus dem gewerblichen Bereich zu kommen. Dazu passt auch der deutliche Anstieg beim Dieselanteil (Diagramm 2). Die ohnehin schon hohe Gewerbe-Quote beim Golf steigt von 81,0% (Ende 2023) auf 81,9%. Mit diesem Wert liegt der Golf etwa 10 Punkte über dem Segmentschnitt von 71,4%, ist also im Umkehrschluss bei Privatkunden deutlich unbeliebter als der Durchschnitt.
Das Neuzulassungsniveau liegt insgesamt klar über den Vorjahren aber immer noch unterhalb des 2020er Niveau und fast 40% unterhalb des Referenzjahres 2019. Im Vergleich zum Jahr 2015 liegt der Rückgang sogar bei 55%. 2015 markiert das Jahr mit den höchsten Verkaufsvolumen sowohl des VW Golf als auch der gesamten Kompaktklasse. Für die Marke VW gab es ebenfalls in 2015 das beste Ergebnis innerhalb der letzten 10 Jahre.
Entwicklung des Golf im Vergleich
Für den Golf geht es also im Grunde seit 2015 bergab, sodass die Trendumkehr im bisherigen Verlauf des Jahres tatsächlich bemerkenswert ist. Bezieht man die Entwicklung des gesamten Segments und der Marke VW mit ein, wird aber deutlich, dass hier nicht von einer wirklichen Trendumkehr gesprochen werden kann. Die Neuzulassungen des Bestsellers aus Wolfsburg gehen nicht nur stärker zurück als die seines Segments, sondern auch deutlich stärker als die der Marke Volkswagen (Diagramm 3). In den Index-Entwicklungen ist abzulesen, wie die Rolle, die der Golf im deutschen Markt und für Volkswagen spielt, über Zeit immer kleiner geworden ist.
Allerdings muss man feststellen, dass die Kompaktklasse ihr bisheriges Tief in 2022 hatte und sich seitdem sogar fast wieder auf das Niveau des Jahres 2020 hochentwickelt hat. Und das ohne Unterstützung des Segment-Primus, der eben erst seit dem ersten Halbjahr 2024 kräftig zulegen konnte. Ich hatte bereits im Artikel zur gesamtem Neuzulassungsentwicklung im ersten Halbjahr erwähnt, dass sich die Kompaktklasse überraschend positiv entwickelt und das Wachstum bei den SUVs langsam nachlässt. Auffällig ist auch, dass nicht nur der Golf, sondern auch andere Modelle der Volkswagen Gruppe und von Stellantis sich sehr stark entwickeln (zum Beispiel Seat Leon, Opel Astra und Peugeot 308). Trotzdem ist die Erholung des Segments seit dem Corona-Schock langsamer als im Gesamtmarkt.
Wie stehen die Chancen auf ein echtes Comeback des Golf?
Schaut man auf die globalen Produktionsvolumen von Volkswagen, dann wird klar wieso man nicht mit einem Comeback der „Golf-Klasse“ rechnen sollte. In 2015 wurden fast 1,1 Millionen Golf produziert, was 18,6% der gesamten Produktion des Marke Volkswagen darstellt – zudem war der Golf der meistproduzierte Volkswagen. In 2023 waren es nur noch 6,4% beziehungsweise etwa 310.000 Golf, die vom Band gelaufen sind. Meistproduziertes Modell der Wolfsburger war in dem Jahr der Tiguan, der Golf liegt nur noch auf Platz 5. Übrigens landet relativ konstant ein Viertel dieser Produktion auf deutschen Straßen. Immerhin diese Entwicklung ist kontant.
Zusammenfassung
Die genaue Erklärung für die – trotz allem – fulminante Entwicklung der Neuzulassungen wird man vermutlich nur bei Volkswagen selbst kennen. Von außen betrachtet kommen fünf Besonderheiten zusammen, die aber nicht unbedingt exklusiv so nur für den VW Golf gelten:
- Seit Juli müssen alle neuzugelassenen Pkw die Kriterien der General Safety Regulation 2 (GSR2) erfüllen, eine EU-Verordnung, die eine Reihe von Fahrassistenzsystemen zur verpflichtenden Serienausstattung macht. Fahrzeuge, die diese Kriterien noch nicht erfüllen, müssen also vorher in die Zulassung gebracht werden. Das gilt aber natürlich nicht exklusiv für den Golf.
- Ab September gilt die Abgasnorm Euro 6e für alle Neuzulassungen, was bedeutet, dass Fahrzeuge, die diese Norm nicht erfüllen, nicht mehr in der EU zugelassen werden können. Ebenfalls kein exklusives Golf-Thema.
- Als Besonderheit beim Golf kommt die Einführung des Facelifts für die aktuelle achte Generation hinzu. Seit Mitte April laufen die überarbeiteten Modelle vom Band. Dadurch ist möglicherweise zusätzlicher Druck auf den Abverkauf der Vor-Facelift Fahrzeuge entstanden.
- Bemerkenswert beim Golf ist der höher werdende Gewerbeanteil. Für Privatleute ist das Modell immer weniger interessant. Hier ist die Entwicklung zwar ähnlich zum Segment und auch dem Gesamtmarkt, aber das Niveau ist beim Golf deutlich höher.
- Ebenfalls auffällig ist die starke Zunahme des Diesel-Anteils, die beim Golf wieder stärker ausfällt als im Gesamtmarkt.
Der Blick in die isolierten Ergebnisse aus dem Monat Juli verdeutlich die außergewöhnlichen Ergebnisse des ersten Halbjahres, denn der Golf erzielt nur noch etwas über 5.000 Neuzulassungen mit einem Dieselanteil von knapp unter 20%. Der trotzdem noch mal erhöhte Gewerbeanteil von über 85% spricht für die Auslieferung der Facelift-Modelle an das Volkswagen Händlernetz.
Es ist ziemlich offensichtlich, dass man noch nicht von einem Comeback sprechen kann. Dazu benötigt es wohl etwas mehr, als ein gutes Halbjahr. Nicht vergessen darf man dabei, dass Hersteller wie Ford und Renault ihre eigentlich erfolgreichen Modelle Focus und Megane entweder vom Markt genommen haben (Ford) oder aber stark verändert haben und so letztlich Volumen einbüßen (Renault). Auch ein großes und relevantes Segment wie die Kompaktklasse verzeichnet also einen Rückgang der angebotenen Modelle. Das Thema verdient in jedem Fall einen erneuten Blick am Ende des Jahres.
Titelbild: © Volkswagen AG