Hersteller-Check: Rivian
„Volkswagen investiert bis zu 5 Milliarden US-Dollar in Rivian“. Solche oder ähnliche Schlagzeilen haben Ende Juni nicht nur bei Aktionären für Aufsehen gesorgt. Die Volkswagen AG hatte am 25.06. bekanntgegeben, dass man zunächst für 1 Mrd. US-Dollar Aktien des US-amerikanischen Herstellers Rivian kaufen wird, sich diese Summe aber bis 2026 auf bis zu 5 Mrd. US-Dollar erweitern kann. Zudem soll ein Joint Venture gegründet werden, in dem beide gemeinsam an der nächsten Generation der elektrischen/elektronischen Architektur für E-Fahrzeuge arbeiten möchte. Volkswagen bekäme zudem Zugriff auf die aktuelle Technologie von Rivian. Das geplante Joint Venture würde beiden Unternehmen zu gleichen Teilen gehören. Bereits Ende Juli wurde der Zusammenschluss vom deutschen Bundeskartellamt genehmigt und kann damit Realität werden.
Da Rivian bisher noch nicht auf dem deutschen oder europäischen Markt aktiv ist, kennen vermutlich nur wenige außerhalb der Elektro-Bubble den BEV-Hersteller aus Kalifornien. Wer oder was verbirgt sich also hinter dem Volkwagen-Partner?
Steckbrief: Rivian (Rivian Automotive, Inc.)
Gegründet | 2009 in Irvine, Kalifornien (USA) von Robert „RJ“ Scaringe, einem am renommierten MIT ausgebildeten Ingenieur, der auch als CEO tätig ist. |
Aktuelle Modelle | R1T (Pick-Up), R1S (SUV) und EDV (Transporter). |
Zukünftige Modelle | R2 (SUV, kleiner als R1S, angekündigt für H1 2026) und R3 (Crossover, kleiner als R2, angekündigt für nach dem Launch des R3). |
Jahresproduktion | 57.232 Einheiten (2023) nach 24.318 im Vorjahr (+135%), geplant sind 215.000 nach Einführung R2. |
Produktionsstandort(e) | Fahrzeuge werden in Normal, Illinois (USA) gefertigt. |
Produktionsstart | 2021 |
Jahresumsatz | 4,4 Mrd. US-Dollar (2023) nach 1,7 Mrd. US-Dollar im Vorjahr (+167%). |
Börsengang | November 2021 |
Marktkapitalisierung | 23,2 Mrd. US-Dollar (per Ende 2023), 15,2 Mrd. US-Dollar (aktuell, 01.08.2024). |
Besonderheiten | Besonderheiten: Kooperation mit Amazon für die Produktion des EDV, Amazon besitzt etwas mehr als 16% von Rivian. |
Rivian ist also ein junger, dynamisch wachsender, aber in der Welt der Automobilkonzerne noch kleiner Hersteller batterieelektrischer Fahrzeuge, die bisher in den USA und Kanada vermarktet werden. Allerdings ist mit den neuen Fahrzeugen R2 und R3 auch der Eintritt in den europäischen Markt geplant. Mit der Amazon-Kooperation hat man ein eher ungewöhnliches Standbein geschaffen, was allerdings sehr wertvoll sein dürfte, um die eigene Technologie unter harten Bedingungen zu testen. Vermutlich gibt es wenige Anwendungsfelder, die einem Fahrzeug mehr abverlangen, als die Logistik auf der letzten Meile.
Partnerschaft mit Volkswagen: David gegen mit Goliath?
Rein wirtschaftlich könnten die beiden Partner nicht unterschiedlicher sein. Rivian hat im letzten Jahr etwas mehr als 57.000 Fahrzeuge produziert, die Volkswagen Gruppe über 9,3 Millionen. Der Umsatz der Niedersachsen lag im selben Jahr bei 322,3 Mrd. Euro, während Rivian in derselben Zeit lediglich 4,4 Mrd. US-Dollar (etwa 4,1 Mrd. Euro) umgesetzt hat.
Die Volkswagen Gruppe produziert über 160 Mal so viele Fahrzeuge wie Rivian und erzielt dabei einen 78 Mal so hohen Umsatz, hat aber nur noch einen etwa 3,4 Mal so hohen Börsenwert (etwa 51,4 Mrd. US-Dollar am 01.08.2024). Und das obwohl Volkswagen im letzten Jahr 17,9 Mrd. Euro Nachsteuergewinn ausgewiesen hat, wohingegen bei Rivian etwa 5,4 Mrd. US-Dollar Verlust stehen (etwa 5,0 Mrd. Euro). Scheinbar kann Rivian also nicht so einfach aufgrund seiner wirtschaftlichen Kennzahlen bewertet werden, sodass ein genauerer Blick notwendig wird.
Was ist das Besondere an Rivian?
Offensichtlich steckt in dem kleinen Hersteller also etwas mehr, als man von außen denken würde. Schaut man in die Meinungen der verschiedenen Aktienanalysten, so bekommt man einen guten Überblick über die Stärken der Kalifornier. Die US-Bank Morgan Stanley sieht in Rivian zum Bespiel eher einen vielversprechenden Lieferanten oder Technologiepartner für andere Hersteller. Bei der britischen Barclays Bank sieht man Rivian als potenziell engsten Wettbewerber zu Tesla. Grundsätzlich scheinen die Meinungen (vorsichtig) optimistisch zu sein.
Das liegt an der Produktpipeline und Rivians guten Produktionsergebnissen. Darüber hinaus scheint das selbst entwickelte Ökosystem aus Plattform und Software auf einem hohen Niveau zu sein. Durch die zusätzliche Marktabdeckung nach der Einführung des kleineren R2 werden die Produktionskosten je Einheit zudem deutlich sinken. Aktuell wird die maximale Produktionskapazität noch nicht ausgenutzt, was sich in hohen Grundkosten zeigt.
Von der aktuell zumindest in Deutschland eher schlechten Stimmung rund um die Elektromobilität sollte man sich in jedem Fall nicht irritieren lassen (dazu hatte ich vor Kurzem bereits auch eine Analyse veröffentlicht). In den meisten Ländern steigen die Verkaufszahlen von Elektroautos weiterhin und Europa bleibt auf lange Zeit ein sehr wichtiger Markt. Bei der aktuell gültigen Regulierung wird der Druck auf Elektroneuzulassungen schon ab 2025 wieder deutlich größer. Grund ist ein strengerer Grenzwert für die CO2-Emissionen der Herstellerflotten.
Ob Rivian mit seinen kleineren SUV- und Crossover-Modellen R2 und R3 in Europa überzeugen kann ist dabei natürlich eine ganz andere Frage. Durch die von der EU neu eingeführten Importzölle auf in China produzierte Elektroautos, wird der europäische Markt für Hersteller wie Rivian zumindest wieder attraktiver.
Vergleich mit Tesla
Vergleicht man Rivian mit Tesla, dann führt der Blick in das Jahr 2015. In dem Jahr hatte Tesla eine Jahresproduktion von etwa 51.000 Einheiten der Modelle Model S und Model X – also sehr vergleichbar mit Rivians Produktion im letzten Jahr. Die damalige Bewertung des Unternehmens von Elon Musk (Marktkapitalisierung) lag bei nahezu unglaublichen 50,6 Mrd. US-Dollar (man vergleiche mit Volkswagen heute), der Umsatz bei 4,0 Mrd. US-Dollar. Der Verlust betrug 889 Mio. US-Dollar, der erste Jahresgewinn wurde 2020 ausgewiesen. Bleibt abzuwarten, ob es bei Rivian auch noch fünf Jahre dauert. In jedem Fall kann man festhalten, dass beide bei ähnlicher Produktion und kleiner Produktpalette einen ähnlichen Umsatz erwirtschaftet haben. Der Kostenvorteil lag eindeutig bei Tesla und daher fiel der Verlust damals auch deutlich geringer aus als es bei Rivian aktuell noch der Fall ist.
Warum ist Volkswagen an einer Partnerschaft interessiert?
Besonders die neue MSP-Plattform (midsize platform), auf der die neuen Modelle R2 und R3 produziert werden sollen, scheint sich durch eine sehr gute Balance aus Kosten und Performance auszuzeichnen. Darüber hinaus gilt Rivian als sehr innovativ beim Thema Fahrzeug- und Infotainment-Software. So gehört Rivian zum Bespiel zu den wenigen Herstellern, die ihrer Kundschaft ein geschlossenes Infotainmentsystem anbieten. Eine Integration von Apple CarPlay oder Android Auto ist aktuell nicht möglich oder geplant – so macht es auch Tesla.
Der Fokus auf ein eigenes geschlossenes System ist riskant, da viele Hersteller bereits daran gescheitert sind ein nahtloses und zufriedenstellendes Erlebnis für ihre Kundinnen und Kunden zu kreieren. Oftmals werden die Systeme von Apple (Apple CarPlay) oder Google (Android Auto) besser bewertet. Der Verzicht auf die Integration der beiden Branchengiganten birgt das Risiko einer geringeren Kundenzufriedenheit. Für den Hersteller ist ein geschlossenes System besser, da man zum einen mehr Daten sammeln kann und zum anderen das Erlebnis rund um das Fahrzeug noch stärker individualisieren kann. Das gilt natürlich nur, wenn man eine gute Software und Benutzeroberfläche hat.
Aus Sicht der Kundschaft scheint Rivian in jedem Fall überzeugende Produkte zu entwickeln. Das Modell RT1 bekam 2023 den renommierten J.D. Power Award für die „Best EV Ownership Experience“ in der Kategorie für Premium-EVs.
Aus Sicht von Volkswagen ist Rivians EV-Plattform und das damit verbundene Software-Ökosystem sehr attraktiv und der Zugriff auf diese Technologie ist mit einem Preisschild von 5 Mrd. US-Dollar vermutlich ebenfalls ziemlich attraktiv. Mehr Innovation für weniger Geld ist schwer zu finden.
Partnerschaft mit Amazon – ein echter Trumpf
Eine echte Besonderheit sind die elektrischen Transporter, die man exklusiv für beziehungswiese mit Amazon entwickelt hat. Mittlerweile haben es sogar über 300 Stück auf deutsche Straßen geschafft.
Bis 2030 will Amazon 100.000 der elektrischen Transporter in Betrieb nehmen. Die Erkenntnisse, die Rivian aus dieser umfangreichen Flotte im intensiven Lieferbetrieb gewinnen wird und auch heute bereits gewinnt, sind von hohem Wert. Zudem ist eine Grundauslastung in der Produktion gewährleistet. Seit kurzem werden die Transporter auch anderen Kunden verkauft, was für zusätzlich Auslastung sorgen dürfte. Vor Kurzem wurde die Marke von 15.000 ausgelieferten Einheiten überschritten, fehlen also noch 85.000 Stück.
Zusammenfassung
Am Ende des Tages ist die Partnerschaft der beiden Unternehmen Volkswagen und Rivian (noch) keine auf Augenhöhe. Der Wolfsburger Gigant aber hat diverse Baustellen beim Software-Ökosystem (siehe CARIAD) und hofft mit Rivian einen der innovativsten Partner der Industrie an sich zu binden. Für Rivian ist die mit der Partnerschaft verbundene Finanzspritze Anreiz genug für eine Zusammenarbeit. In der Phase der Skalierung der Produktion und Erweiterung der Produktpalette ist ausreichend Kapital und Durchhaltevermögen gefragt. Und zudem wird man von einem der größten Hersteller der Welt sicher etwas lernen können – besonders wenn man kurz vor dem Markteintritt in Europa steht.